Rezensionen

Arbeiten auf Papier

Ausstellung im Leonardi-Museum Dresden

Die gelbe Stadt Mandy Herrmann erzählt geheimnisvolle Geschichten von der kosmologischen Ganzheitlichkeit der Lebensenergien. Somit sind ihre Arbeiten Abglanz eines uralten Mythos, der Sehnsucht nach der Unsterblichkeit der Seele. Ihre Kunst ist kein Versuch einer lautstark artikulierten, ästhe-tischen Opposition, sondern Ausdruck einer eher melancholisch gestimmten, verinnerlichten Weltsicht. Spiritualität und Synästhesie finden in den Arbeiten einen meditativen Zusammenklang. Lichtfülle und Erdenschwere koope-rieren in merkwürdig stillen, in sich abgeschlossenen und zugleich span-nungsvoll bewegten Kompositionen.

Mit kühler Zärtlichkeit oder ungestümer Kraft antwortet Farbe ungegenständlicher oder organoider Flächenform. Einerseits reißen Farben Formen an sich, andererseits verlangen Formen nach energiegeladener Farbgebung. Dieser Dualismus ebenso, wie auch die musikalische Ausstrahlung von Farben sind der Künstlerin durchaus bewußt, wenngleich immer eine tiefe Gefühlsbewegung und nicht formal ästhetische Be-züge Ausgangspunkt für die Entstehung eines Bildes ist.

Das Werk kreist um einen ornamentalen Grundgestus. Es lebt von einer "Kalligraphie" des Organischen. Wie selbstverständlich verschmelzen in der Bild-welt von Mandy Herrmann Irrgelichter und seltsamste Erscheinungen, Menschen, Tiere, Pflanzen, Wasser, Erde und Gestein in einem Sog, der alles gleichwertig zusammenzieht und zugleich wieder auseinanderschleudert. Es existieren Formen der Berührung und des Hindurchstoßens, des Gleitens und Fallens, des Wurzelns und Wachsens, des Versinkens und Lastens, des Spielerischen und Schwerelosen.

Ein leuchtendes, vereinigendes Licht gehört zu diesem magischen Figurenkanon. Mandy Herrmann verwandelt archaische Zeichensysteme mit dem ihr eigenen Phantasiereichtum. Ihr Glaube an die Welt als organisches Ganzes läßt instinktiv Idole entstehen. Auf dem unendlichen Weiß der Papiere, auf dem noch alles möglich ist, kristallisiert sich zeitlos Elementares heraus.

Schwarze Formen breiten sich auf goldgelbem Untergrund aus, die an ein Tier erinnern, umgeben von kreisrunden Segmenten, Spiralen, gezahnten Gegen-ständen. Unregelmäßig geformt stürmt diese "Nachtform" aus dem Bild. Teil des "gelben Flusses" ist ein leuchtendes Chromoxidgrün mit schillernden Türkistönen vermischt. Sonnengerötete Steine leiten zu den "Klängen im Wasser" über, bis daß man sich in der "gelben Stadt" des nachts wiederfindet. In aufgetürmte, ineinanderverschachtelte Formen stürzt nachtwandlerisch ein Wesen hinein, das sich vielleicht an "organische Metamorphosen" entsinnt, die einem uralten Wissen, nämlich "indianischen Erinnerungen" entspringen.

Und so könnte man, inspiriert von der stimmungsvollen Titelgebung, den Gang von Bild zu Bild fortsetzen und sich eine eigene Geschichte zusammenspinnen.

Farben glühen, wachsen, schweben im Bildraum, werden begrenzt von auffälligen, disziplinierenden Konturen oder lösen sich in über die Fläche sprengenden Tupfenfeldern auf. Man erkennt Augen, Blätter, Köpfe, Tiere, organische Mischformen und glaubt dem Geheimnis endlich auf die Spur zu kommen, bis sich letztlich alles wieder im labyrinthisch angelegten Kompositionsdickicht verliert. Und doch wird man das Gefühl nicht los, daß sich hier eine phantastische Kosmologie von Fabel-wesen mit einer durchaus realen Welt verschwistert.

Die Sehnsucht nach harmonischen Gestaltungen ist groß. So strebt die Künstlerin mittlerweile eine ästhetische Verfeinerung der Farbkultur sowie eine Klarheit der Bildsprache an, indem geometrisiertes Formenvokabular Verwendung findet.

Die Arbeiten von Mandy Herrmann, die völlig unbelastet sind von gängigen Modeerscheinungen, sollten als bildnerische Entsprechungen der unendlichen Freiheit des Geistes und der Seele verstanden werden...


Karin Weber
1998, Katalog zur Ausstellung im Leonardi-Museum Dresden
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