Rezensionen

Gestische Zeichen und Konstruktionen

Zur Ausstellung von Mandy Herrmann in der galerie am blauen wunder

Arbeiten auf Papier Aufgewachsen in Markneukirchen, dem Zentrum des vogtländischen Musikalienhandwerks, in dem auch ihr Vater tätig war, geriet Mandy Herrmann frühzeitig in eine künstle-risch-kreative Atmosphäre. Obwohl diese nicht zuletzt durch die Begegnung mit zahlreichen Musikern von Rang vor allem akustisch geprägt war, drängte es sie zu dem visuellen Pendant. Ihr Weg zur bildnerischen Kreativität vollzog sich zunächst ohne nennenswerte äußere Einflüsse, bis sie sich 1982 direkt nach dem Abitur in den Schmelztiegel Dresden begab, um die Abendschule der Akademie bei Panndorf senior, Friedrun Kuhle und Agathe Böttcher zu besuchen. Besonders letztere ließ auch das bildnerische Experiment in ihr Blickfeld rücken.

1985 begann sie ihr Studium an der Dresdner Kunsthochschule, das sie bei den Professoren Klotz, Heisig und Weidensdorfer in die Geisteslandschaften von Goya bis Kollwltz und von Ensor bis Beckmann führte. Nach schwerem Schicksalsschlag integrierten sich am Beginn der 90er Jahre archaische Zeichensysteme ägyptischer, afrikanischer und fernöstlich-ozeanischer Meditation in ihrem Werk. Zuerst in Kaltnadelradierungen, dieser unmittelbaren graphischen Äußerung, später in großformatiger Malerei entwickelte sich eine Art surreal-existenzieller Abstraktion. Nach dem Abschluss des Studiums war sie 1993 Meisterschülerin bei Claus Weidensdorfer. Mit drei in ihren Ausstellungen bisher nicht gezeigten Gemälden dieser Zeit setzt die Ausstellung ein. Zwischen dem Zöllner Rousseau und der Flora Max Ernsts dehnt sich ihre zeichenhafte Vegetation von prähistorischer Höhlenmalerei bis in die nebelhafte Gegenwart.

Eine eindrucksvolle Serie von Gemälden aus dem Jahre 1998 hebt die verdichtete Poesie des freien Spiels ihrer Zeichensysteme auf eine neue Stufe: Sie hat inzwischen die konstruktiven und informellen Welten Willi Baumeisters für sich entdeckt. Elementare Formen symbolisieren ein uraltes Menschheitsthema, das fragile Gleichgewicht der Elemente Himmel und Erde, Feuer und Wasser, Gut und Böse...

"Wachstum" und "Erinnerungsreste" von 2000 und 2001 führen dieses Thema skizzenhaft fort. Gleichzeitig beginnt 2000 eine neue Werkgruppe, die im gegenwärtigen Jahr 2002 fortgesetzt wird. Dieser ist die Ausstellung ganz besonders gewidmet. Sie erringt sich eine neue spielerische Freiheit, die sich in spontanen Zeichen kalligraphisch, aleatorisch und informell sublimiert. Westliche Expression trifft auf östliche Meditation, gegensätzliche Triebkräfte im Unterbewussten schaffen schwarz-weiße Rhythmen im Gelb und Blau. Auch daraus bilden sich wieder geschlossenere Formen und Verbindungen. Diese fließen in zahlreiche im Augenblick entstehende "Kleine Kompositionen", von denen die Ausstellung eine kleine Auswahl zeigt. Die postkartengroßen Skizzen führen die informelle Aleatorik wieder zurück in unterbewussten, konstruierten bis konstruktiven Formenkanon. Dessen Offenheit und Komplexität spiegelt sich im Prozess des "Machens".

Mandy Herrmann ist keine Künstlerin, die mit messerscharfem Kalkül allererste Avantgarde produzieren will, sondern sie greift sich einzelne Tatsachen aus der Kunst des 20. Jahrhundert heraus, die sie faszinieren, und schafft daraus aus dem Herzen und mit dem Gefühl ihr gemäße Zeichnung und Fragmente.

Man darf gespannt sein, wenn sich über kurz oder lang ihre neueste Entwicklung in Tafelmalerei niederschlägt und damit noch deutlichere Zeichen setzt, als es die starken gestischen Bilder und Strukturen dieser Gouachen, Tuschen und Pastelle jetzt schon tun.


Gunter Ziller
13.04.2002, Dresdner Neueste Nachrichten
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